Henry D. Thoreau: Tagebuch IV

Das auf 12 Bände angelegte große Projekt, die Tagebücher von Thoreau chronologisch und in etwa auf 50% des Originalumfangs reduzierter Fassung erstmals auf Deutsch zu veröffentlichen, schreitet voran. Nun ist Band IV erschienen.

Das vorliegende Tagebuch IV umfasst die ersten acht Monate des Jahres 1852 bis Ende August. Die durch Thoreaus Zeichnungen angereicherten Einträge sind im Vergleich zu früher recht umfangreich, entwickeln sich vereinzelt zu Prosagedichten. Es ist ein bewegtes Jahr, welches Thoreau mit Schneemassen, Tauwetter-Überschwemmung, sommerlicher Hitzewelle und farbenprächtigem Herbst viel Stoff liefert.

Die Tagebücher lese ich immer mit dem Bleistift. Denn das literarische Hauptwerk Thoreaus steckt nicht in Walden, sondern in seinem Journal. Und damit auch so mancher anregende Gedankensplitter.

„Jeder Gedanke, der begrüßt und aufgezeichnet wird, ist ein Nestei, neben dem weitere Eier gelegt werden. Zufällig zusammengewürfelte Gedanken werden zu einem Rahmen, in dem es möglich ist, mehr zu entwickeln und zu zeigen. Vielleicht besteht der Wert der Gewohnheit des Schreibens, des Tagebuchschreibens, hauptsächlich darin – dass wir uns so an unsere besten Stunden erinnern und uns selbst anregen. Meine Gedanken sind meine Gesellschaft.“

Henry D. Thoreau, Tagebucheintrag vom 22.01.1852

Henry David Thoreau: Tagebuch IV (1852); aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rainer G. Schmidt; mit einem Nachwort von Ruth Young; Matthes & Seitz Berlin.

Preis: 26,90 Euro.
Bei Subskription aller geplanten 12 Bände gilt ein ermäßigter Preis pro Band.
Subskriptionswünsche per Mail an: vertrieb@matthes-seitz-berlin.de
https://www.matthes-seitz-berlin.de/reihe/henry-david-thoreau.html

Deutsche Erstausgabe von „A Week on the Concord and Merrimack Rivers“

Es gibt Bücher, bei welchen man sich wundert, dass sie nicht schon längst vom Amerikanischen ins Deutsche übertragen wurden. Das Buch „A Week on the Concord and Merrimack Rivers“ von Henry A. Thoreau gehört sicherlich dazu.

In den USA zählt das Buch zum festen Bestand der klassischen amerikanischen Literatur. Das Buch war die erste größere Veröffentlichung von Thoreau, der ansonsten primär durch die Bücher „Walden“ und „Über die Pflicht zum Ungehorsam über den Staat“ weltweit bekannt wurde.

1849 erschien die Erstauflage dieser Beschreibung einer einwöchigen Flussfahrt, welche Henry D. Thoreau am 31.8.1839 mit seinem Bruder John begann. Der geliebte Bruder starb früh im Jahr 1842 und auch zu seinem Angedenken begann Henry 1845 mit der Niederschrift seiner Notizen zu der Bootsfahrt – dem Jahr, als er auch sein Experiment am Walden-See startete. „Deutsche Erstausgabe von „A Week on the Concord and Merrimack Rivers““ weiterlesen

Thoreau Journal 22.9.1839

„Wenn wir nur einigermaßen still und empfänglich sind, finden wir in jeder Enttäuschung eine Entschädigung. Wenn wir etwa, um Schutz vor einem Regenschauer zu suchen, in ein Ahornwäldchen oder unter herabhängende Fichtenzweige fliehen, entdecken wir in diesen Schlupfwinkeln, wenn wir genau hinsehen, neue Wunder in der Rinde, in den Blättern oder in den Flechten zu unseren Füßen.“

Henry D. Thoreau, Journal, 22.9.1839

Quelle: Henry David Thoreau „Aus den Tagebüchern“ (zusammengestellt und übersetzt von Susanne Schaup), Tewes, 1996.

Thoreau Journal 28.10.1857 – der alte barfüßige Mann mit den Äpfeln

Ich war erst ein kleines Stück auf der alten Carlisle-Straße gegangen, als ich Brooks Clark sah, der jetzt an die achtzig ist und krumm wie ein Bogen. Er eilte die Straße entlang, barfuß wie gewöhnlich, mit einer Axt in der Hand – vielleicht war er in Eile, weil ihn die Füße in dem kalten Wind froren. Als er zu mir kam, sah ich, dass er außer der Axt in der einen Hand, seine Schuhe in der anderen trug, mit knorrigen Äpfeln und einem toten Rotkehlchen darin. Er blieb stehen, sprach ein Weilchen mit mir und sagte, dass wir einen prachtvollen Herbst hätten und uns jetzt auf kaltes Wetter gefasst machen müssten. Ich fragte ihn, ob er das Rotkehlchen tot gefunden habe. Nein, antwortete er, er habe es mit gebrochenem Flügel gefunden und getötet. Er fügte hinzu, dass er ein paar Äpfel im Wald gefunden habe, und da er nichts besaß, worin er sie hätte heimtragen können, steckte er sie in seine Schuhe. Die waren freilich ein seltsamer Früchtekorb. Wie viele Äpfel er bis vorn in die Zehen hineinbrachte, weiß ich nicht. Ich bemerkte auch, dass seine Taschen vollgestopft waren. Sein alter zerschlissener Gehrock schlotterte wie seine Hose um seine nackten Füße. Er schien an diesem stürmischen Nachmittag ausgerückt zu sein, um wie ein kleiner Junge zu spähen, was er ergattern konnte.
Es freute mich, diesen fröhlichen Alten zu sehen, der nur noch mit einem schwachen Fuß im Leben stand, krumm wie ein Schürhaken, und dabei seinen Lebensabend genoss. Ich denke nicht daran, es Hagsucht oder Geiz zu nennen, dieses kindliche Vergnügen, etwas in Wald oder Feld aufzulesen und an einem Oktoberabend nach Hause zu bringen als Trophäe oder als Beitrag zum Wintervorrat. Oh nein, er war glücklich, dass die Natur ihn immer noch bewirtete und dass er seine Nahrung picken durfte wie ein Vogel. Besser sein Rotkehlchen als euer Truthahn, besser seine Schuhe voll Äpfel als eure Fässer. Sie werden süßer schmecken und etwas Schöneres zu erzählen haben. (…)
Er war draußen gewesen gewesen, um nachzusehen, was die Natur ihm beschert, und eilte nun heimwärts zu einem Unterschlupf, der ihm vertraut war, wo er seine alten Füße wärmen konnte. Wäre er ein junger Mann gewesen, hätte er wahrscheinlich aus Scham seine Äpfel weggeworfen und seine Schuhe angezogen, als er mich kommen sah. Aber das Alter ist souveräner, es hat gelernt zu leben und entschuldigt sich nicht bei jeder Gelegenheit. Es scheint mr ein sehr mannhafter Mann zu sein.

Henry D. Thoreau, Journal 28.10.1857

Quelle: Henry David Thoreau „Aus den Tagebüchern“ (zusammengestellt und übersetzt von Susanne Schaup), Tewes, 1996.

Thoreau Journal 08.02.1841

Mein Tagebuch ist das von mir, was sonst überfließen und verfließen würde, Nachlese auf einem Feld, das ich tätig abernte. Ich brauche nicht dafür zu leben, sondern lebe in ihm für die Götter. Mit ihnen korrespondieren ich; ihnen schicke ich täglich dieses frankierten Blatt. Ich bin Buchhalter bei ihnen und übertrage jeden Tag Soll und Haben vom Kassenbuch ins Hauptbuch.

My Journal is that of me which would else spill over and run to waste, gleanings from the field which in action I reap. I must not live for it, but in it for the gods. They are my correspondent, to whom daily I send off this sheet postpaid. I am clerk in their counting-room, and at evening transfer the account from day-book to ledger.

Henry D. Thoreau, Journal, 08.02.1841
Übersetzung: Schmidt

Thoreau Journal 15.09.1838

Wie unerklärliche ist doch das Strömen der Gedanken in der Jugend. Man kann Stöcke und Dreck in die Strömung werfen, und sie wird nur umso höher steigen. Eindämmen kannst du sie, aber austrocknen nicht, denn du kannst ihre Quelle nicht erreichen. (…) Jugend greift nach dem Glück als einem unveräußerlichen Recht.

Henry D. Thoreau, Journal, 12.12.1837
Übersetzung: Schmidt