Arbeiten am Laufband-Schreibtisch

Dass Sitzen die Rückenmuskulatur schwächt, für verkrampfte Halsmuskeln sorgt und Haltungsschäden verursacht, ist schon seit Jahrzehnten Allgemeinwissen. Die diversen Moden bei Bürositzgeräten geben ein beredtes Zeugnis darüber ab. Bürostühle, einer ergonomischer als der andere beworben, Sitzbälle, Kniehocker, Balance-Stühle und mehr sollen uns helfen, der Bewegungsarmut etwas entgegenzusetzen.

„Sitzen ist das neue Rauchen“

Mit diesem Titel erschien ein Buch, und es ist der Slogan derer, welche uns vor dem zuvielen Sitzen am Schreibtisch, im Auto und im Sessel mit seinen Folgen bewahren wollen. Jetzt ist nicht mehr nur unsere Skelettmuskulatur im Fokus, jetzt geht es ans Eingemachte: Niedriger Kalorienverbrauch, ein Stoffwechsel auf Sparflamme, steigende Gefahr von Herz- und Kreislauferkrankungen und Diabetes-Risiko sind seit einigen Jahren die Hiobsbotschaften der Sitzgegner. Mit dem ergonomischen Stuhl ist es also nicht mehr getan. Wir müssen in die Senkrechte. Und so sind seit geraumer Zeit Stehtische im Angebot aller Büromöbelhersteller, um uns aus der sitzenden Unbeweglichkeit in die aufrechte Position zu holen.

Stehtische sind ein Anfang, aber keine Lösung

Nicht nur nach meiner Erfahrung scheinen Stehtische auch nicht die Rettung für unsere Sitz-Probleme zu sein. Denn zwei entscheidende Faktoren spielen ihnen entgegen:

  • Die Macht der Gewohnheit: Anfangs werden die neu und für teures Geld erworbenen Stehtische noch regelmäßig genutzt. Doch bereits nach wenigen Tagen, so die gängige Beobachtung, bleiben sie im Allgemeinen auf der Sitzposition und werden nur noch ausnahmsweise hochgefahren. Meist dann, wenn der Rücken zwickt. Wer nicht die eine oder andere Aufgabe zu einer „Stehtisch-Aufgabe“ definiert, z.B. Postbearbeitung oder PC-Arbeit, wird beim Sitzen bleiben. Ganz selten sieht man Büros, in welchen der Stehtisch dauerhaft auf der Steh-Höhe verbleibt.
  • Die Unbequemlichkeit des Stehens: Viele Stehtisch-Hersteller und das Buch „Sitzen ist das neue Rauchen“ schicken gleich ein Bündel hilfreicher Tipps mit, wie das Stehen abwechslungsreicher und damit auch angenehmer gestaltet werden kann. Denn langes Stehen ist alles andere als eine Freude. Das weiß jeder, der im Zug keinen Sitzplatz ergattert hat oder im Chor als Sänger*in ein Konzert lang stehen muss. Stehen verlangt nach Ausruhen, verlangt nach Sitzen. Und das bereits nach relativ kurzer Zeit. Nach einer Viertelstunde reicht es den meisten und man beginnt mit Ausweichbewegungen, verlagert das Gewicht vom einen auf das andere Bein, knickt in der Hüfte ab etc. Das Blut sackt in die Beine, der Kreislauf beginnt sich zu beschweren. Nein, für langes Stehen sind wir nicht gemacht.

Unser Körper braucht Bewegung

10-16 Kilometer liefen unsere Steinzeitvorfahren angeblich. Und deren Erbe steckt noch ganz gewaltig in uns. Es sind nicht nur die unbewussten und automatisierten Verhaltensweisen, welches unser Erbe aus dieser Zeit ausmachen, es ist natürlich unser ganzer Körperbau. Bis vor 50 Jahren war das für die meisten Menschen auch überhaupt kein Problem. Der Alltag bot mehr als genügend Gelegenheiten und vor allem Pflichten, damit wir uns bewegten. Die Wege wurden zu Fuß anstelle mit dem Auto zurückgelegt, Holz wurde gehackt und kein Thermostat gedreht, Wäsche mühselig am Zuber gewaschen und nicht nur das Waschmittel dosiert in die Maschine gegeben. Unser Drang zur Bequemlichkeit hat eine Menge bewegt – nur leider nicht uns.

Wir wissen, dass wir Bewegung brauchen. Zur optimierten Selbstdarstellung gehört auch die Bewegung und ein fitter Körper. In Deutschland stieg die Zahl der Verträge in Fitness-Studios von 2003 bis 2018 von rund 4,4 Millionen auf 11,1 Millionen an. Doch selbst dann, wenn diese Verträge auch genutzt würden (was nach einer Anfangseuphorie offenbar meist nicht getan wird), reicht diese punktuelle Bewegung von 1-2 Stunden an 1-2 Wochentagen nicht aus, um unser Bewegungsdefizit auszugleichen.

Bewegung muss Teil des Alltags werden

Vor dieser Erkenntnis stand 2011 der amerikanische Redakteur und Autor A. J. Jacobs. Er wollte in einem gut einjährigen Selbstversuch mit Anfang 40 den Weg von einem hypochondrischen und etwas übergewichtigem Couch-Potatoe zu einem gesundheitsoptimieren Menschen gehen – und natürlich darüber schreiben. Seinen Ansatz beschrieb er im Buch „Saufit. Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden“ als „Guerilla-Training“. Rolltreppen wurden fortan konsequent gemieden, die Wege in Manhattan zum Kindergarten und ins Büro im Laufschritt zurückgelegt. Doch der größte Tatort für Unbeweglichkeit blieb der Schreibtisch, für einen Autor der Platz vieler Stunden täglich. Hier versuchte er es mit Stehen und behalf sich mit allerlei Hilfsmitteln, um dieses abwechslungsreicher zu gestalten. Aber den Durchbruch in seiner Bemühung, den Alltag beweglicher zu gestalten, erreichte er, als er auf die Forschungsarbeit von James A. Levine stieß.

James A. Levine war Forscher an der bekannten Mayo-Klinik und beschäftigte sich mit dem Stoffwechsel des Menschen und der Frage, warum manche Menschen bei praktisch gleichen Faktoren mehr zunehmen als andere. Dazu entwickelte er Methoden, um den Kalorienverbrauch bei Menschen messen zu können. Ein wesentliches Resultat seiner Forschung war, dass das Stehen kein Kalorienverbrenner ist. Die deutlich erhöhte Anstrengung beim Stehen, im Gegensatz zum Sitzen, schlägt sich nur marginal im Kalorienverbrauch nieder. 1999 kam er auf den Gedanken, ein altes Trainings-Laufband mit einem Stehtisch zu kombinieren und gehenderweise am PC zu arbeiten. Der Rest ist Geschichte. In den USA hat die „Treadmill Desk“-Bewegung seither eine treue Anhängerschar. In seinem Buch „Get Up!: Why Your Chair Is Killing You and What You Can Do about It“ beschreibt Levine ausführlich seine Forschungsarbeit.

Jacobs faszinierte diese Idee und er nahm ein bereits vorhandes günstiges Laufband und baute sich aus diversen Kisten und Kartons einen improvisierten Stehschreibtisch für seinen Laptop. Sein 500 Seiten-Buch über den Selbstversuch verfasste er vollständig im Gehen auf dem Laufband bei 1-3 km/h.

A. J. Jacobs an seinem Schreibtisch (Foto aus dem Buch „Saufit“.)

Mein Weg zum Laufband-Stehtisch

2014 las ich das Buch von Jacobs und die Idee des Laufband-Schreibtisches faszinierte mich irgendwie. Seine Erfahrung, dass er ziemlich mühelos über längere Zeit gehenderweise auf dem Laufband am Laptop schreiben kann, fand ich spannend. Dann kaufte ich mir relativ spontan Anfang 2019 bei ALDI ein Laufband mit dem Hintergedanken, in den Wintermonaten etwas Bewegung im Haus zu haben, da meine Lunge mit der kalten Winterluft beim Joggen nicht gut zurecht kommt.

Als das Laufband dann im Studio neben meinem Schreibtisch stand, fiel mir wieder das Buch von Jacobs ein und ich dachte mir, das müsse ich nun doch ausprobieren. Ich befestigte an den Haltebügeln des Laufbandes ein Brett und stellte eine Obstkiste darauf. Und tatsächlich, es war motorisch überhaupt keine große Sache, gehenderweise am Laptop zu tippen. Dann bemerkte ich, dass mein Stehpult exakt auf die Stehfläche neben dem Band passt und schon hatte ich meinen „professionellen“ Laufband-Stehtisch. Der Monitor kam ins davor stehende Bücherregal, der Laptop wurde mit einer Drahtlos-Tastatur verbunden:

Mein Home-Office mit dem Laufband und dem Stehpult darauf.

Nutzen des Laufband-Schreibtisches

Ich begann zu recherchieren, was so eine Laufband-Stehtisch-Kombination nun bringt. Und dabei stieß ich auf den erwähnten James A. Levine und sein Buch. Auf Deutsch ist es leider nicht erschienen. Seine Messungen zeigten, dass man beim Gehen auf dem Laufband – ca. 1,6-2,4 km/h – rund 200 Kilokalorien pro Stunde verbrennt. Damit leistet man, wenn man 2-3 Stunden täglich geht, einen wesentlichen Beitrag zum Umsatz und stabilisiert auch wesentlich seinen Blutzuckerspiegel. In seinem auf YouTube veröffentlichten Vortrag „The Dangers of Sitting“ zeigt er folgende Graphik:

Die Graphik zeigt, wie unterschiedlich sich der Blutzuckerspiegel entwickelt. Bei der blauen Linie bewegt sich die Person nach der Mahlzeit für eine Viertelstunde mäßig. Bei der roten Linie verharrt sie sitzend. Nach der Bewegung geht der Blutzuckerspiegel nur halb so hoch wie sitzenderweise und auch der Abbau erfolgt weit gemäßigter.

Nach der positiven Erfahrung im Zuhause-Büro beschloss ich also, mir auch für die Arbeit ein Laufband anzuschaffen. Online entdeckte ich dann, dass es mittlerweile spezielle Laufbänder für den Büro-Einsatz gibt. Deren Höchstgeschwindigkeit liegt mit ca. 6 km/h weit unter der von Trainings-Laufbändern. Auch sind sie nicht in der Neigung verstellbar, da das beim Gehen zu einer ungünstigen Haltung führt. Und sie haben kein störendes Geländer bzw. kein Display wie die Geräte aus dem Fitness-Studio. Zuletzt sind sie auf eine geringere Geschwindigkeit und lange Laufzeiten bei niedriger Geräuschentwicklung optimiert, um im Büroalltag nicht zu stören. Mein Büro-Laufband habe ich dann online bei www.mein-gesundes-buero.de bestellt. Auf der Seite findet man sowohl Laufbänder solo als auch in Kombination mit einem Tisch. Vor der Bestellung holte ich natürlich das O.K. des Arbeitgebers ein, bezahlte aber erst einmal privat.

Praxiserfahrung

Jetzt, Anfang Mai, habe ich im Büro mein Laufband seit rund acht Wochen im Einsatz. Und ich muss sagen, dass ich unterm Strich sehr zufrieden mit der Anschaffung bin.

  • Mein Gehpensum hat sich auf zwei bis drei Stunden täglich im Schnitt eingependet.
  • Als angenehme Gehgeschwindigkeit habe ich für mich 1,6 bis 1,8 km/h gefunden. Wenn ich mal schneller gehe, merke ich, dass mir warm wird.
  • Es ist völlig problemlos, 30 oder 60 Minuten auf dem Laufband zu gehen. Wer einen Spaziergang in dieser Länge schafft, wird mit dem Laufband kein Problem haben. Unser Körper ist auf das Gehen ausgelegt.
  • Die Unruhe bleibt aus, welche sich bei längerem Sitzen oft einstellt und in Ausweichhandlungen äußert (Kaffee holen, Surfen, Toilettengang, etc.). Und der Kopf nickt auch nicht müde auf Tisch oder Brust im Mittagstief.
  • Das Display des Bandes liegt auf dem Schreibtisch und zeigt mir die Geschwindigkeit, die Zahl der Schritte (werden vom Band gezählt!), die Gehdauer und den ungefähren Kalorienverbrauch (Gewicht vorher eingeben!) an.
  • Man kann mit allen bequemen Schuhen auf dem Band gehen, genauso wie auf Socken oder (zuhause) barfuß. Ich nehme gerne meine Wildling-Barfußschuhe, die einerseits bequem und andererseits auch einigermaßen bürotauglich sind. Zuhause bin ich nur barfuß auf dem Laufband.
  • Die Arbeitskolleg*innen sind sehr interessiert und probieren das Laufband gerne aus. Bis auf eine Person waren alle davon überzeugt und könnten es sich vorstellen, so einen Arbeitsplatz zu nutzen, wenn der Arbeitgeber die Ausrüstung bezahlt.
  • Ich fühle mich tagsüber und gerade nach der Mittagspause deutlich dynamischer, frischer und fitter als sitzend (und langsam zusammensinkend) auf dem Bürostuhl.
  • Für sitzende Arbeitseinheiten habe ich einen schwenkbaren Monitorarm angeschafft und nutze den rechten Teil des Schreibtisches (s. Video unten).
  • Zum Telefonieren nutze ich mehr als früher das Headset. Bei langsamer Gehgeschwindigkeit komme ich auch nicht außer Atem und kann ganz normal telefonieren.
  • Die Gel-Handballen-Auflage vor der Tastatur und der Maus entlastet die Ballen und hilft, die Hand trotz der Bewegung stabil zu halten. Damit geht das „blinde“ Tippen auf der Tastatur problemlos und auch die Maus lässt sich ausreichend fein bewegen.
  • Sehr feine Mausbewegungen, wie beispielsweise bei der Bildbearbeitung, lassen sich auf dem Laufband schlechter ausführen. Auch handschriftliche Notizen sind nicht gut möglich. Dafür stelle ich mich dann neben das Laufband oder setze mich.
  • Die Abwechslung macht’s. Anfangs dachte ich, dass ich sicher 5-7 Stunden täglich gehen würde. 2-3 sind es geworden, denn der Tag ist mit Besprechungen, täglichen Wegen zu Kolleg*innen, dem Drucker etc. doch fragmentiert. Aber in dieser Mischung finde ich es sehr angenehm.
  • Man muss bedenken, dass das Laufband einen um ca. 10-15 Zentimeter „höher macht“. Wer sehr groß ist und in niedrigen Räumen arbeitet, muss auf die Lage von Deckenlampen achten. Es gibt zum Beispiel ein mechanisch betriebenes Laufband aus Holz (recht teuer), welches sicher 30 Zentimeter Höhe benötigt. Das schafft nicht jeder Raum.
  • Zum Testen, ob einem so ein Laufband-Schreibtisch zusagt, braucht es kein relativ teures Profi-Büro-Laufband. Es genügt ein günstiges, vielleicht gebrauchtes Laufband. Eine Profi-Ausstattung geht später immer noch. Einzelne Hersteller bieten auch eine Testzeit von 1-4 Wochen an.
  • Ich finde die Möglichkeit sehr praktisch, meinen höhenverstellbaren Tisch mit drei Tasten auf voreingestellte Höhen verstellen zu können: a) sitzen, b) stehen ohne Laufband, c) stehen mit Laufband.
  • Wer sich online informieren möchte, sollte primär auf englisch-amerikanischen Seiten oder auf YouTube suchen. Als Stichwort empfehle ich „Treadmill Desk“, da dies der in den USA gebräuchliche Begriff ist.

Videos meiner Schreibtisch-Laufband-Lösungen

Mein Laufband-Arbeitsplatz zuhause. Es wurde ein normales Laufband (von einem Discounter) genommen. Der Monitor steht im Bücherregal, die Funktastatur liegt auf einem Stehpult, welches genau auf die seitliche Stehfläche des Laufbandes passt.
Mein Büro-Arbeitsplatz mit höhenverstellbarem Schreibtisch und dem speziellen Büro-Laufband unter der linken Tischhälfte. Rechts ist der Bürostuhl vor der rechten Tischhälfte.

Zum Weiterlesen / Ansehen

(c) Kai Dörfner, 4.5.2019

Ein Gedanke zu „Arbeiten am Laufband-Schreibtisch“

  1. Den Artikel fande ich prima! Es gibt nicht viele Info im Internet um das Thema. Nutzen Sie noch Ihren Laufband? Ich überlege so einen zu kaufen und Ihre Beitrag hat mir sehr geholfen. Schöne Grüße aus Berlin!

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