Wer sich jemals mit Meditation beschäftigt hat, stieß zu Beginn sicher auf die Anweisung „beobachte Deinen Atem“. Man solle ihn beobachten, wie er durch die Nase fließt, den Gaumen entlang streicht, die Lunge und den Bauchraum füllt, Bauchdecke und Brustkorb hebt. Und dann geht der Atem den entgegen gesetzten Weg, den es ebenso zu erspüren gilt. Ziel dieser Übung ist, den allgegenwärtigen Strom der Gedanken zu unterbrechen, einmal an „nichts“ zu denken.
Momentan versuche ich, wieder täglich zu meditieren. Wobei es nicht nur beim Versuch bleibt, sondern ich schon einige Tage sehr konstant dabei bin – wenngleich noch nicht besonders lange, sondern erst mal nur so 10-15 Minuten am Stück.
Ich weiß ja nicht, wie es anderen dabei geht. Aber ich kann meinen Atem nicht beobachten. Ja, ich kann ihn spüren und im Körper verfolgen. Aber ich kann ihn nicht in diesem Sinne beobachten, dass ich ihn einfach so betrachte, wie er in diesem Moment ist. Sobald ich ihn nämlich beobachte, verändere ich ihn. Meine Atemzüge werden, spätestens nach zwei bis drei beobachteten Atemzügen bewusster, tiefer, länger. Ich schaffe es nicht, ihn einfach nur so – quasi als Außenstehender – zu beobachten. Nein, mein Beobachten verändert meinen Atemrhythmus innerhalb kürzester Zeit.
Und das kennen wir ja aus unterschiedlichsten Forschungskontexten. Die Beobachtung verändert das zu Beobachtende. Schüler unter Beobachtung agieren anders als unbeobachtete Schüler. Ethnologen veränderten die beobachteten Ethnien. Ärzte, welche bewusst ein Plazebo geben, lösen andere Wirkungen bei Patienten aus, als Ärzte bei Doppel-Blind-Versuchen, welche nicht wissen, ob sie Plazebo geben oder nicht. Und auch in der Quantenphysik verändert die Beobachtung ihr Objekt.
Ob das in der Meditation nun „schlimm“ ist? Keine Ahnung, mir fiel es nur auf, als ich einmal dieses „beobachte Deinen Atem“ ernst zu nehmen versuchte und nicht als „beruhige Deinen Atem“ interpretierte. Aber vielleicht ist es ja ganz gut, wenn der Atem durch die Beobachtung zur Ruhe kommt. Denn letztendlich geht es bei der Meditation in den meisten Anleitungen darum, einen sehr ruhigen, gedanken-leeren Zustand zu erreichen, bzw. die aufkommenden Gedanken „weg-zu-atmen“ oder beiseite zu schieben. Dabei hilft ein ruhiger Atem sicherlich. Aber den Atem einfach zu beobachten, wie er nun in eben jenem Moment ist, das kann ich bis heute praktisch nicht. Dabei ist der Ansatz enorm hilfreich, denn er entlastet davon, „richtig“ atmen zu müssen. Denn wenn ich meinen Atem nur beobachte, dann nehme ich ihn so hin, wie er in diesem Moment gerade ist. Und damit nehme ich auch mich hin, so wie ich in diesem Moment gerade bin: ruhig, aufgeregt, unruhig, hektisch, aufgebracht etc. Ich beobachte, ob ich in den Brustkorb atme; ich beobachte, ob der Atem bis tief in den Bauchraum gelangt und die Bauchdecke hebt. Wenn ich den Beobachter-Status schaffe, dann komme ich auch zur Absichtslosigkeit der Meditation, die ihr Ziel in der Ziellosigkeit hat.
Also: Beobachten ohne zu verändern. Ziellosigkeit als Ziel.
Meditieren ist komplexer, als einfach nur herumzusitzen.
Ich glaube du bist auf einem guten weg. Ich selbst habe jahrelang meditiert, und erst nach vielen Jahren festgestellt, dass es nahezu unmöglich ist, den Atem ohne Willenseingriff zu beaobachten. Aber dann ist es mir für Sekunden gelungen – und das ist WOW, unglaublich! Es kommen Gefühle hoch, es rüttelt an meiner Identität, ich bin in diesen wenigen Sekunden in einem anderen Zustand. Es ist ein echtes Loslassen. Ich werde daran weiter „arbeiten“, ich glaub es lohnt sich.