»Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.« Als ich diesen Satz vor mittlerweile 24 Jahren zu ersten Mal hörte, rätselte ich lange, welches mysteriöse Geheimnis der Zeitplanung sich wohl dahinter verstecken möge. Gesagt hatte ihn Norbert R. Müllert, einer der beiden Väter der wunderbaren Moderationsmethode »Zukunftswerkstatt«, als ich bei ihm im Moderatorenschulungs-Seminar war.
»Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.« Das ist so ein Satz, der wie ein Koan, ein unlösbares Zen-Rätsel klingt. Man versteht ihn nicht gleich. Und vielleicht macht dies seinen Reiz aus, lässt ihn diese Uneindeutigkeit als weise erscheinen. Aber Weisheit hin oder her – ich hab’ ihn schlichtweg nicht kapiert. Manche Dinge sind einfach außerhalb meines Horizonts. Punkt. – Aber er ließ mich nicht los.
Vor einigen Monaten kam mir der alte Satz wieder in den Sinn. Es war ein Sonntagmorgen und ich stand mit dem Bügeleisen in der Hand vor dem Bügelbrett und einem ordentlichen Stapel zu bügelnder Hemden, Hosen und Oberteilen der Gattin im Blickfeld. Nach einer Dreiviertelstunde begann mich die Bügelei zu nerven und ich wurde schneller, wollte den Berg in Eile bezwingen. Mit der Eile kam eine innere Unruhe und Ungeduld auf und ich fing an, mich gestresst zu fühlen. Objektiv gab es dafür keinen Grund, denn ich hatte keinen Anschlusstermin und alle Zeit des Sonntags vor mir.
Und in diesem Moment fiel mir dieser Satz wieder ein, »Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.« Ich nahm das nächste Bügelstück und bügelte es in aller Ruhe, fast schon übertrieben sorgfältig. Ich sah nur dieses eine Teil auf meinem Bügelbrett und blendete den restlichen stattlichen Textilhügel aus. Da wurde ich ruhiger. Das konzentrierte Bügeln, der Fokus auf den Ärmel, den Rücken, die Knopfleiste, das Zusammenlegen beruhigte mich.
Wenn die To-Do-Liste vom Drängler zum Helfer wird
Diese sehr unspektakuläre Erfahrung habe ich dann auch im Büro wiederholt erlebt. Wie oft kommt es vor, dass man im Beruf oder Alltag den Eindruck hat, alles prasselt nur so auf einen ein und man gerät vor lauter »Erledigen« in Eile, Hektik und ins Gefühl der Überforderung/Überlastung. Aber Eile und Hektik bringen meist nichts. Meist ist die Arbeit in Eile nicht wesentlich schneller erledigt, als wenn sie konzentriert angegangen worden wäre. Das ist so ähnlich wie mit den Dränglern auf der Autobahn. Auch sie gewinnen unterm Strich nur wenig Zeit auf 100 Kilometer – aber der Stress-Pegel und das Unfall-Risiko sind weit höher.
»Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.« Das ist für mich mittlerweile (wenn ich mich rechtzeitig daran erinnere) das Stopp-Wort, der Rettungsring, wenn es zu viel zu werden scheint. Hinter diesem Satz stehen für mich ganz banale und doch hilfreiche Erkenntnisse:
- Der Zeitunterschied zwischen hektischer und ruhiger Arbeit ist marginal. Aber die Qualität von in Ruhe erledigten Aufgaben ist deutlich höher.
- Eile geht an die Substanz, Ruhe schafft Reserven.
- Konzentriertes Arbeiten überträgt sich – genau wie Hektik und Eile – auf den Körper, aber positiv.
- Wenn ich bewusst langsamer werde, werde ich unterm Strich nicht langsamer, nur weniger eilig.
Auch die populären Achtsamkeits-Konzepte tragen im Kern diese Botschaft in sich. Achtsamkeit bedeutet, sich des gegenwärtigen Zustands bewusst zu sein. Achtsamkeit will den Fokus auf das Handeln und Erleben in der Gegenwart lenken. Ganz anders unser sprunghafter Geist, der schon längst weiter in der Zukunft bei den nächsten Punkten der To-Do-Liste ist, sie vorwegnimmt, zu einem Berg verdichtet und Stress verursacht.
»Wenn Du es eilig hast, dann gehe langsam.« Dieser Satz führt unsere To-Do-Liste(n) auf einen einfachen Mechanismus zurück: Nimm dir einen Punkt nach dem anderen vor und erledige ihn – in aller Ruhe. Sieh dir erst dann den nächsten Punkt an. Egal wie langsam du diese Punkte nacheinander abarbeitest, du wirst immer noch schneller sein als wenn dich die To-Do-Liste durch ihre Mächtigkeit in Eile und Hektik versetzt oder gar paralysiert. Denn der Satz heißt nicht »… dann bleibe stehen.« Du gehst weiter, in aller Ruhe, aber bestimmt.
PS: Ich habe nun nicht extra online rumgesucht, ob die Antwort beziehungsweise meine Interpretation nun „richtig“ ist. Das ist mir auch ganz egal, denn mir passt der Satz so jetzt.