G. C. Lichtenbergs Sudelbücher

Man soll seinem Gefühl folgen und den ersten Eindruck, den eine Sache auf uns macht, zu Wort bringen. Nicht als wenn ich Wahrheit so zu suchen riete, sondern weil es die unverfälschte Stimme unserer Erfahrung ist, das Resultat unserer besten Bemerkungen, da wir leicht in pflichtgemäßes Gewäsch fallen, wenn wir erst nachsinnen.

(Lichtenberg, Sudelbücher Bd. 1, [454])

Georg Christoph Lichtenberg lebte von 1742-1799, seit dem 21. Lebensjahr in Göttingen. Er schrieb, skizzierte seit seinen Studententagen in Hefte. Dabei war ihm wichtig, dass die Gedanken ungeordnet blieben, so natürlich wie möglich zu Papier kamen. Sudelbuch-Einträge sind keine Tagebucheinträge, sie sind eher Beobachtungen von außen, Beobachtungen der äußeren Welt.

Sudelbuch - Ausschnitt

Seine Sudelbücher sind daher eine wilde Sammlung aus völlig zusammenhanglosen kleinen oder größeren Texten. Der Zusammenhang, in welchem ein Text geschrieben wurde, der Kontext seiner Entstehung, der Bezug auf Lichtenbergs Alltag – all das bleibt dem normalen Leser verborgen. Die Sudelbücher, quasi also Entwurfsbücher, waren auch nicht zur Veröffentlichung gedacht. Erst nach seinem Tod wurden sie zugänglich gemacht.

Die gesammelten Werke: Sudelbücher und Briefe
Die gesammelten Werke: Sudelbücher und Briefe

Der so eigenwillige Stil der Sudelhefte inspirierte einige Nachfolger. Der unvergessene Robert Gernhardt (1937-2006) zählte Lichtenbergs Sudelbücher zu seinen Favoriten. Auch Gernhardt trug ab ca. 40 seine täglichen Aufzeichnungen in einfache Notizhefte ein, benutzte einen simplen billigen Einwegkuli dafür. So unverfälscht wie die Gedanken, so einfach sind auch die Materialien. Nein, Materialfetischismus verträgt sich nicht so recht mit dem Ansatz der Sudelbücher.

Twitter stellt für mich eine moderne Version der Sudelbücher dar. 140 Zeichen sind zwar deutlich knapper als die Lichtenbergschen Texte, aber der klassische Tweet ist ebenso unzusammenhängend geäußert wie ein Sudelbuch-Eintrag.

In diesem Blog finden sich neben „normalen“ Texten auch meine „Sudelbuch“-Einträge. Einige davon schrieb ich auf Twitter, andere werden hier im Blog entstehen. Ich bin gespannt, wohin das führen wird. Vielleicht wird aus dem einen oder anderen Sudeltext irgendwann ein großer richtiger Beitrag.

Und wie bei Lichtenberg, sind die Sudelbuch-Einträge nicht datiert, sondern lediglich nummeriert.

Parallel führte Lichtenberg weitere Notizhefte. Eines davon, „Noctes“ ( = Nächte), ist als Faksimile-Druck mit Erläuterungen 1992 erschienen und vereinzelt noch erhältlich. Ich habe es hier beschrieben.

Abbildungen:

Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Herausgegeben von Wolfgang Promies. Verlag Zweitausendundeins, Lizenzausgabe des Carl Hanser Verlag München.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert