Die Eltern trennten sich, als sie ein Kind war. Die Kinder kamen zum Vater, die Mutter sahen sie in den Ferien. Zeit ihres Lebens blieb eine große Distanz der Kinder zur Mutter. Auch als Erwachsene kamen sie sich nicht wirklich näher. Die Mutter veränderte sich, trank immer mehr, schaffte es nicht mehr Ordnung zu halten. Zuletzt starb sie nach einem Sturz zuhause nach wenigen Tagen im Krankenhaus.
Hier beginnt die eigentliche Handlung des Buches »Was bleibt – Über die Dinge, die wir zurücklassen« von Susannah Walker. Ihre Mutter hinterlässt ein völlig vermülltes, verdrecktes und sanierungsbedürftiges modrig-feuchtes Haus. Woche für Woche fährt Susannah Walker dorthin, kämpft sich mit zwei gewerblichen Ausrümplern durch den Nachlass. Das wäre noch nichts besonders. Besonders macht es, dass die Autorin u.a. als Kuratorin arbeitet, also berufsmäßig mit Gegenständen umgeht. Dies macht sie nun auch mit dem Nachlass ihrer Mutter. Sie sichtet ihn Stück für Stück, um auf diesem Weg dem Wesen ihrer Mutter näher zu kommen. So will sie die Frau, die ihr Lebens lang unnahbar blieb, kennenlernen. Denn das Haus ihrer Mutter in Worcester beherbergt nicht nur Müll, sondern auch ein riesiges Sammelsurium von Fotos, Gebrauchsgegenständen und Nippes.
Als Alltagsarchäologin wühlt sie sich durch die Räume und Stapel und stellt bei der Beschäftigung mit dem Sammeltrieb, dem Horten ihrer Mutter, auch ihren eigenen Umgang mit Gegenständen, ihr eigenes Sammeln auf den Prüfstand.
Welche Ausprägung der Krankheit des Hortens hatte ihre Mutter? Dieser Frage geht sie durch das Studium diverser Studien nach. Welche Prägung liegt in der Familie, was ist erblich, wo sind Muster durch die Generationen erkennbar? Susannah Walker schreibt unspektakulär, spannend, berührend. Wir Lesenden erfahren nicht nur vieles über ihre Familie, sondern sehr viel über das Wesen von Gegenständen, warum wir zu manchen eine intensive Beziehung haben, ihnen eine eigene Persönlichkeit geben. Würde ich zum Beispiel den Kaffeebecher eines Massenmörders als Geschenk annehmen und daraus trinken?
Natürlich stößt sie bei ihrer Recherche auch auf die Bücher von Marie Kondo, der japanischen Päpstin der Aufräumszene. Spannenderweise entdeckt sie eine Parallele zwischen der Ikone der leeren Räume und ihrer Mutter, der Horterin. Denn beiden Personentypen sind Dinge mindestens so wichtig wie Menschen. Für beide sind Gegenstände belebt, haben ihre eigene Persönlichkeit und verdienen Respekt. Spannende Parallelen!
»Was bleibt« ist ein persönliches Buch, welches mich zum Nachdenken anregt und welches seinen physischen Platz im Regal verdient hat. Denn die Beschäftigung mit dem Nachlass der Eltern und später mit dem eigenen materiellen Erbe ist eine meiner Aufgaben.
Walker, Susanne: Was bleibt – über die Dinge, die wir zurücklassen; 2018; Verlag Kein & Aber; Zürich/Berlin
Und hier noch ein Link zu einem Artikel der „Zeit“ zum Buch.
Und zum Altern des Archivs bloggte aktuell Hanns-Josef Ortheil.