Barfußgehen hat ja mittlerweile einen sehr gesunden Ruf. Und die zahlreichen Barfußpfade in Deutschland gehören zum festen touristischen Besuchsprogramm, insbesondere bei Familien. Die Kehrseite dieses Booms ist, dass die Menschen denken, barfuß zu gehen wäre außerhalb dieser »Reservate« eine gefährliche Angelegenheit. Doch dem ist natürlich nicht so. Und, vielleicht für viele ein provozierender Gedanke, ist gerade für Städtetouristen das Barfußlaufen eine echte Alternative zu mehr oder weniger bequemen Stunden in Schuhen.
Barfuß in Wien
Ein freier Juni-Nachmittag in Wien, nach langer Bahnfahrt im vollen Zug. Es hatte ca. 25 Grad, als ich gegen 15 Uhr das Hotel verließ, um einige Stunden lang Wien per pedes zu erkunden. Ich hatte nur ein Ziel, das Hundertwasser-Museum, und ansonsten die Absicht, als Flaneur mehr oder weniger ziellos durch die Stadt zu schlendern. Vor einem Jahr war ich schon mal in Wien barfuß unterwegs gewesen, so dass es auch dieses Mal auf blanken Sohlen durch die Millionenstadt ging.
Barfuß in der Stadt? Geht das überhaupt? Nach meinem ersten längeren Barfußbummel durch eine Großstadt, London, schrieb ich 1999 in einem Forum:
»Barfuß eine Stadt zu erkundigen ist im Nachhinein betrachtet viel angenehmer als mit Schuhen. Zumindest habe ich früher meine Füße viel eher schmerzhaft gespürt, als dieses Mal, obwohl meine Freundin und ich täglich etliche Stunden herumgegangen sind. Ohne Druckstellen und Hitzestau geht es sich einfach angenehmer.«
Das Fixieren der hoch beweglichen Füße in engen Schuhen bleibt nicht ohne Konsequenz auf das Wohlbefinden. Man muss sich nur vorstellen, wie es den Händen ginge, würde man sie den ganzen Tag in ein enges Lederkorsett schnüren. Am Abend wären sie unbeweglich, taub und verschwitzt. Wir könnten nicht einmal eine Tasse sicher halten.
Und mein barfüßiger Nachmittag/Abend in Wien lief völlig problemfrei und angenehm. Die Bodenbeläge waren gerade richtig warm und nicht zu heiß, was sonst im Sommer schnell zum Problem werden kann.
Im Hundertwasser-Museum schmeichelten die verschiedenen Bodenbelägen den Füßen: Holzdielen, Stein, Fliesen … ein urbaner Barfußpark, der sich den anderen Besuchern nur optisch erschloss. Und auch die Unebenheiten des Bodens fühlte ich natürlich viel mehr als die anderen Besucherinnen und Besucher, denen der architektonische Barfußansatz von Friedensreich Hundertwasser entging. Nur eine Frau entledigte sich auch ihrer Schuhe und ging barfuß an den Exponaten vorbei.
Draußen wurde mir dann wieder bewusst, wie unterschiedlich die Bodenpflasterungen in Wien sind, oft innerhalb weniger Minuten wechseln die Kopfsteinpflaster-Sorten, der Asphalt und Gehsteigplatten. Kleine Wiesenflächen unterwegs erfrischen die Sohlen und die sporadische Pfützen vom Morgenschauer verleiten zum Durchlaufen und Spuren hinterlassen.
Der Hauptbahnhof ist glatt. So glatte Böden gibt es wohl nur in Bahnhöfen. Da ist man barfuß schon in Versuchung, etwas herum zu schlittern, wenn vor einem die Bodenwischmaschine eine feuchte Spur hinterläßt. Doch der Weg führt ins Lebensmittelgeschäft, wo der Boden – und das ist in Lebensmittelgeschäften eigentlich immer – umgehend für eine dunkle Fußfärbung sorgt. Es muss wohl an der hohen Besucherfrequenz in diesen Läden liegen. Vor den ausgedehnten Kühlregalen fühlt es sich sehr kühl an. Die Kälte der Kühlregale flutet den Boden, kühlt die Fliesen winterlich herab, so dass der Reiz von »erfrischend« schnell auf »weitergehen« wechselt.
Die U-Bahn ist über Treppen und Rolltreppen erreichbar. Rolltreppen erfordern immer etwas Vorsicht, da die spitzen Kanten für die Füße Verletzungspotential bieten. Aber wer nicht gerade beim Barfußlaufen twittert, hat die Augen eh immer leicht auf die zu begehende Bodenfläche gerichtet. U-Bahnhöfe sind glatt, fühlen sich fast steril an. Anders wieder die Bahnen selber, deren Boden einen leichten Grip aufweist. Als stehender Barfüßer wird man schnell mal unauffällig gemustert, anhand der restlichen Kleidung abgecheckt, in welche Schublade (Hippie, Exzentriker, etc) der Mensch wohl passt. Ob ich keine Angst hätte, dass mir jemand auf die Füße träte, wurde ich gefragt. Ich meinte, nicht mehr, als wenn ich leichte Schuhe, beispielsweise Sandalen, trüge.
Mein Geheimtipp für städtische Barfußläufer sind immer die Kirchen, je älter, desto besser. Die Kirchenböden sind einfach toll zu gehen, absoluter Favorit von mir ist dabei Sandstein. Und mit dem Barfußlaufen hatte ich auch in Kirchen noch nie Probleme. Heißt es nicht sogar in der Bibel: Ziehe deine Schuhe aus, du betrittst heiligen Boden.
Für Touristen, so mein Eindruck, wirkte ich exotischer als für die eher kosmopolitisch geübten Wiener. Aber wer weiß. Da ich alleine unterwegs war, fehlte mir der ergänzende Blick einer Begleitung. Ein besonders Selbstbewußtsein braucht man als Barfußläufer in Wien wahrlich nicht. Da sind so viele exotische Persönlichkeiten unterwegs, da fällt man auch nicht über Gebühr auf.
Abends im Hotelzimmer waren die Sohlen natürlich sehr dunkel, fast schwarz. Für viele Ganzjahres-Barfüßer ist dies eine Art von Ritterschlag, der sichtbare Beweis ihrer Barfüßeridentität. Ich sehe das eher als notwendiges Übel an und habe daher immer eine kleine Bürste im Waschbeutel dabei. Mit ihr und etwas Seife bekomme ich die Füße unter der Dusche oder im Waschbecken in wenigen Minuten wieder blitzblank. Straßenschmutz geht sehr gut ab. Das Einzige, was wirklich sehr lästig klebt, sind die harzig-klebrigen Blüten mancher Baumsorten. Autofahrer, welche unter Bäumen parken, können davon ein Lied singen. Aber die Füße zu waschen sollte ja auch bei Schuhträgern zum Standard nach einem langen Stadt-Tag gehören.
Für mich nach wie vor ein ganz starkes Argument beim städtischen Barfußlaufen: Meine Füße und auch ich fühlen uns nach einigen Stunden in der Stadt barfuß viel fitter, als wenn ich in Schuhen gelaufen wäre. Die hohe Beweglichkeit des kleinen Muskel-Knochen-Wunderwerks Fuß mag das Eingesperrtsein nicht.
Und sollte mich doch einmal der gewohnte leichte Blick auf den Boden vor mir im Stich gelassen haben und eine kleine Scherbe den Fuß malträtiert haben, ist das auch nicht besonders tragisch. Am Schlüsselbund habe ich immer eine kleine spitze Pinzette, im Geldbeutel ein Pflaster (brauche ich als Vater zweier aktiver Jungs eh immer wieder) und im Rucksack leichte Sandalen oder Flipflops. Aber wenn ich mir anhöre, wie andere abends immer über den Zustand ihrer Füße jammern, Schwielen und Blasen beklagen, nehme ich das gerne in Kauf.
Vielleicht magst Du es ja auch einmal testen.
Schön beschrieben.
Kann die Erfahrung zu 100% bestätigen: Ob Tanzen oder längere Wanderungen, barfuss hatte ich weit weniger Beschwerden und bedeutend mehr Erlebnisse. Nur weite Felder mit grobkantigem Kies oder vielen Glasscherben können einem die Laune verderben, sind aber auch entsprechend selten und umgehbar.
Das macht Lust! Danke.