Wir schreiben den vierten Januar. Auf Twitter häufen sich die Berichte, dass die Fitness-Studios voller Neuzugänge sind. In den Prospektankündigungen der Discounter sind Fitnessgeräte und Sportkleidung in dieser und der kommenden Woche angepriesen. Die Wälder sind ungewöhnlich gut mit Läuferinnen und Läufern gefüllt. Unübersehbar: Es ist die Zeit der Neujahrsvorsätze. Und zu den populärsten Vorsätzen gehört sicher derjenige, sich stärker (oder überhaupt) körperlich zu betätigen, Sport zu betreiben.
Aber wie bereits die ersten lästern bemerken, wird dieser Zustrom in den Fitness-Studios und Wäldern nur von kurzer Dauer sein. Ab Mitte des Monats wird eine Normalisierung der Zahlen erwartet. Dann wird aus dem „heute mal nicht“ ein „Vorhaben abgebrochen“ geworden sein und viele Leute stellen mehr oder weniger frustriert fest, dass Sport doch nichts für sie ist und Neujahrsvorsätze grundsätzlich von kurzer Haltbarkeit sind. Bis zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch ist dann erst einmal Ruhe an der Vorsatz-Front.
Doch warum scheitern wir so häufig, wenn wir uns etwas vornehmen? Und warum gibt es doch Menschen, welche ihre Vorhaben umsetzen? Es gibt im Internet viele Tipps, wie man seine Vorhaben leistbar angehen kann. Auch ich habe dazu schon einmal einen Beitrag verfasst.
Unerbittliche Vorsätze
Was es aus meiner Sicht mit den Neujahrsvorsätzen oft schwierig macht, ist ihre Unerbittlichkeit. Du musst den Vorsatz durchhalten, darfst Dir bis zur Ausbildung einer stabilen Gewohnheit möglichst keine (keine!) Ausnahme erlauben. Also im Prinzip heißt das, man startet von 0 auf 100 durch, binär betrachtet von 0 auf 1. Nichts ist dazwischen.
Aber ist das denn ein übliches Verfahren, wenn wir etwas erreichen wollen?
- Wird man von heute auf morgen zum Läufer?
- Bekomme ich nach einer Fahrstunde den Führerschein?
- Schaffe ich nach Jahren der Fahrrad-Abstinenz eine 150 km-Tour?
- Lerne ich ein Instrument im Wochenendkurs spielen?
Warum glauben wir, dass das mit der Verhaltensänderung, mit dem Start einer neuen Gewohnheit, von heute auf morgen klappt?
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr plädiere ich dafür, den Begriff des „Vorsatzes“, des „Vorhabens“ zu streichen und stattdessen das Wort „Übung“ zu verwenden.
Wie klingt es denn, wenn ich sage, ich übe ab morgen …
- weniger oder keine Zwischenmahlzeiten zu essen,
- regelmäßig (2-3 mal wöchentlich) laufen zu gehen,
- meinen Alltag bewegungsreicher zu gestalten?
Das klingt bereits etwas entspannter, wenngleich man zu Recht einwenden wird, dass das doch sehr vage formulierte Übungen sind. Aber vielleicht ist das auch ausreichend?
Üben betont den Weg
Was ist beim Üben anders als bei einem Vorhaben? In meiner Wahrnehmung beinhaltet das Wort Übung mehrere Aspekte. Üben bedeutet …
- … es gibt ein Ziel, welches ich erreichen will;
- … dieses Ziel ist über einen längeren Weg erreichbar;
- … ich mache Fortschritte, die auch manchmal sehr klein ausfallen können;
- … Umwege und Stagnation gehören zum Übungsweg dazu;
- … ich kann einen unterbrochenen Übungsweg wieder aufnehmen, muss dafür vielleicht einige Schritte zum zweiten Mal gehen.
Die Haltung des Übenden nimmt von uns die Fiktion, perfekt sein zu müssen. Wir müssen uns nicht mit den „Profis“ messen, wir sind Lernende auf einem Weg. Entscheidend ist nur, dass wir ein Ziel vor Augen haben, welches uns in unserem Üben trägt. Der Geist des Übenden ist der des Anfängers, des Nicht-Vollkommenen. Ich darf als Übender Fehler machen, Stolpern. Ich darf mich an kleinen Fortschritten freuen und meinen eigenen Maßstab sehen.
Ich muss, um meinen Alltag mit mehr Bewegung zu füllen, mich nicht zum Fitness-Studio und dem Marathon anmelden. Es reicht, ganz niedrigschwellig mit drei Kniebeugen vor dem Fernseher anzufangen. Dann sind es nächste Woche vielleicht fünf Kniebeugen und so langsam setzt sich die Gewohnheit der Bewegung im Kopf fest und es wird von ganz alleine mehr werden. Wenn ich ein Instrument lerne, brauche ich auch Zeit, bis meine Hände die Abläufe koordiniert bekommen, sich vieles im Gehirn frisch verdrahtet hat.
Das, was ich mir beim Neujahrsvorsatz vornehme, kann ich, wenn ich den Gedanken der Übung zulasse, entspannt als ferneres Ziel ansehen und mir einen kleinen, leistbaren Übungsplan entwerfen.
Als ich 2017, nach rund zwei Jahren Laufpause, wieder mit dem Joggen starten wollte, habe ich schnell aufgehört. Ich wollte wieder bei den 10 Kilometern anfangen, die ich früher lief. Da fiel mir ein, wie ich vor acht Jahren auf die 10 Kilometer kam und das machte ich erneut: Ich lief eine Minute und ging eine Minute. Dann lief ich wieder eine Minute und ging wieder eine Minute. Bis 17 Minuten rum waren. Dann war ich schon etwas geschafft. Aber der Anfang war gemacht. Ich steigerte die Laufzeiten langsam und auch langsam die Gesamtzeit. Und nach 2 1/2 Monaten konnte ich im Urlaub bereits 11 Kilometer in rund 75 Minuten joggen, immer im Rhythmus 6 Minuten joggen und 1 Minuten gehen. Es war ein Übungsweg, bei welchem ich das Ziel „1 Stunde bzw. 10 km Joggen“ vor Augen hatte. Mit den kleinen Schritten klappte das. Und wenn ich jetzt nach der Winterpause wieder starten werde, wird das auch nicht mit dem letzten Pensum sein. Denn das mögen weder mein Körper, noch mein Kopf.
Das heißt nicht, dass ich mir unbedingt ein hohes Ziel für meine Übung setzen muss. Aber ich sollte schon eine kleine Vorstellung davon haben, wohin ich mit meinem Übungsweg gelangen möchte. Denn diese Vorstellung ist es, die mich dann im kleinen Schwächephasen mit der notwendigen Motivation versorgt.
Viel Erfolg beim Üben.
PS: Ein Übungsweg kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt angefangen werden. Es muss nicht an Neujahr oder Aschermittwoch sein.
Kleiner Tip: Vorm Laufen gut untersuchen lassen, ob es überhaupt angesagt ist.
ich habe z.B. Laufverbot, wg. Arthrose
Spazierengehen ist erlaubt, mehr nicht 😉
Gelegentlich „sündige“ ich bewegungsmäßig als Clownin
und wenn es eine Tanzerei gibt 😉
LG, Hiltrud