Ein Zufallsfund. Ich suchte im Internet nach Fotos von Schreibtischen von Autoren und auf einmal tauchte dieser großformatige Band in der Suchergebnisliste auf. „Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen“ ist der Titel des 1998 erschienenen Bild- und Interviewbandes mit Schriftstellern und Schriftstellerinnen von Herlinde Koelbl.
Vom 10-Zeiler bis zum ausführlichen und mehrseitigen Interview reicht die Spannweite der Autorenportraits. Ergänzt werden sie durch eindrucksvolle s/w-Aufnahmen der Autorinnen und Autoren, ihrer Schreibtische und Arbeitszimmer und einer Handschriftprobe. Jedes Portrait sieht etwas anders aus, jedes Interview wurde anders geführt. Allen gemeinsam ist das Interesse und die gute Vorbereitung von Herlinde Koelbl, was sich in den Bildern und Texten spiegelt. Die Interviews wurden übrigens alle autorisiert, auch wenn das eine oder andere Gespräch „sperrig“ wirkt.
Viele klassische Fragen, welche Hobby-Autoren interessieren, werden angesprochen:
- Wie und wann wird geschrieben?
- Schreibt jemand von Hand, mit der Schreibmaschine oder dem PC (ja, 1997 hatten PCs und erste Laptops bereits Einzug in so manchen Schriftstellerhaushalt gehalten)?
- Wie geht jemand mit Kritik und Kritikern um?
- Fragen zum Werdegang, zur Biographie der Autorinnen und Autoren.
- Gibt es eine Angst vor dem leeren Blatt?
- Belastet ein Anfangserfolg?
- Lassen sich Familie und Schreiben vereinbaren?
Interviewt wurden (fettgedruckt die AutorInnen, welche in beiden Ausgaben – s.u. – aufgeführt sind):
Hans Carl Artmann, Jurek Becker, Uli Becker, Peter Bichsel, Thomas Brussig, Günter de Bruyn, Hilde Domin, Hans Magnus Enzensberger, Robert Gernhardt, Durs Grünbein, Peter Handke, Peter Härtling, Josef Haslinger, Wolfgang Hilbig, Edgar Hilserath, Ernst Jandl, Elfriede Jelinek, Ernst Jünger, Walter Kempowski, Sarah Kirsch, Ruth Klüger, Brigitte Kronauer, Michael Krüger, Reiner Kunze, Katja Lange-Müller, Hermann Lenz, Monika Maron, Friederike Mayröcker, Robert Menasse, Herta Müller, Sten Nadolny, Christoph Ransmayr, Gerhard Roth, Peter Rühmkorf, Hans Joachim Schädlich, Robert Schneider, Raoul Schrott, Ingo Schulze, Johannes Mario Simmel, Yoko Tawada, Martin Walser, Christa Wolf. Neu: Günter Grass.
Ich habe mir parallel zur Lektüre (die Schrift im Originalband ist übrigens sehr klein gehalten) immer wieder mal auf Wikipedia die Biographien der Autoren angesehen, da mir nicht alle bekannt waren. Viele waren 1997 zur Zeit der Interviews bereits im fortgeschrittenen Alter bzw. zwei schwer krank, so dass leider viele von ihnen verstorben sind, die Texte einen Nachrufcharakter im Zeitablauf gewonnen haben. Und Herta Müller, um ein Beispiel zu nennen, bekam 11 Jahre später erst ihren Literatur-Nobelpreis.
Wer die Portraits liest merkt, dass es nur wenige Gemeinsamkeiten gibt. Die einen lieben ihren Füller, andere schreiben nie von Hand. Einige überarbeiten ihre Texte immer mit dem Stift, andere am PC. Manche benötigen einen völlig leeren Arbeitsplatz, anderen kann offenbar gar nicht genug Papier um sie herum sein. Was sie zu einen scheint, ist dieser unbeschreibliche Drang, Worte zu Papier bringen zu müssen. Schreiben als Lebenselexier, dieses Credo zieht sich durch viel Interviews.
Mit hat die Lektüre, auch wenn ich erst mehr auf die Fotos gespannt war, sehr bereichert und ich habe viel erfahren und neue Schriftstellerinnen und Schriftsteller kennengelernt.
Der Originalband von 1998 ist nur noch antiquarisch (z.B. über Drittanbieter via Amazon) zu Preisen um die 30 Euro erhältlich. 2007 ist eine sowohl im Format als auch im Umfang der Autorenportraits reduzierte Neuausgabe erschienen: „Schreiben! 30 Autorenporträts“. Mit 19,95 Euro ist das Buch in einem angenehmen Preisbereich und kleiner im Format. Zwar fehlen Portraits, dafür gibt es neu eines von Günter Grass und ein Vorwort von Koelbl, in welchem sie auf die Begegnungen zurückblickt. (Blick ins Buch)
Herlinde Koelbl (1998): Im Schreiben zu Haus – Wie Schriftsteller zu Werke gehen; Knesebeck Verlag; ISBN 3-89660-041-9
Herlinde Koelbl (2007): Schreiben! 30 Autorenportraits; Knesebeck Verlag; ISBN 978-3-89660-422-4 (Blick ins Buch)